Berlin, Germany
April 29, 2004
Bundesregierung weiterhin
uneinig
Mit der laufenden EU-Agrarreform zieht sich der Staat noch
stärker aus der direkten Beeinflussung und Lenkung der
Agrarmärkte zurück. Gleichzeitig wird jedoch im Bereich des
Tier-, Natur-, Umwelt- und Verbraucherschutzes die staatliche
Einflussnahme immer größer. „Die unmittelbare Einflussnahme auf
Mengen und Preise wird also abgebaut, dagegen werden die
staatlichen Vorschriften gerade in Deutschland für
Haltungsverfahren der Tiere, die Bewirtschaftung der Böden, die
Ausbringung von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln sowie der
Umgang mit genetischen Ressourcen weiter ausgebaut.“ Dies
stellte der Generalsekretär des
Deutschen Bauernverbandes
(DBV), Dr. Helmut Born, vor der Verbindungsstelle
Landwirtschaft/Industrie im rheinland-pfälzischen Eltville fest.
Dabei werde die Grüne Gentechnik im Gegensatz zur Roten
Gentechnik zu einem der letzten „Refugien für eine
polarisierende öffentliche Debatte des neu-grünen
Politikspektrums“. Umwelt- und Naturschutzorganisationen nutzten
die Grüne Gentechnik als willkommenes Betätigungsfeld zur
Emotionalisierung der Öffentlichkeit. Mit spektakulären Aktionen
versuchten sie, subtile Ängste in der Bevölkerung zu erzeugen
und damit Druck auf die Bundesregierung auszuüben. In der Folge
bestätigen sich jetzt die Befürchtungen des Bauernverbandes bei
der parlamentarischen Beratung der Novelle des
Gentechnikgesetzes. Eine verschuldensunabhängige und
gesamtschuldnerische Haftung hat es „nach unserer Kenntnis bei
wirtschaftslenkenden Maßnahmen zur Einführung neuer Technologien
– außer bei der Atomenergie – so noch nicht gegeben“, stellte
Born fest. Bleibe es dabei, könne man keinem Landwirt den Anbau
gentechnisch veränderter Pflanzen raten.
Vor diesem Hintergrund zeigte sich Born von der Politik
enttäuscht, die ein widersprüchliches und zerrissenes
Meinungsbild zur Grünen Gentechnik abgebe. Auf der einen Seite
betätigten sich Umweltminister Jürgen Trittin und
Landwirtschaftsministerin Renate Künast als Verstärker dieser
emotional aufgeladenen Ablehnungsfront, während
Forschungsministerin Edelgard Bulmahn und Wirtschaftsminister
Wolfgang Clement die Innovationsoption der Grünen Gentechnik
erfüllt sehen wollten. Diese Auffassungsunterschiede der
Regierungskoalition gipfelten darin, dass die deutsche
Bundesministerin auf der jüngsten Konferenz der EU-Agrarminister
Allianzen gegen die Zulassung eines Bt-Maises mit anderen
EU-Ländern schmiedete, sich dann aber in der entscheidenden
Abstimmung enthalten musste, weil dies Kabinettsbeschluss
gewesen sei. Die Landwirtschaft ist in der Gentechnikdebatte in
hohem Maße von der wirtschaftslenkenden Aufgabe des Staates
enttäuscht, irritiert und frustriert, betonte Born. Denn in der
öffentlichen und politischen Debatte werde häufig übersehen,
welche Optionen die Grüne Gentechnik enthalten kann, die nicht
ungeprüft aufgegeben werden sollten. Dies gelte auch für den
Bereich der nachwachsenden Rohstoffe, deren Marktbedeutung für
die Landwirtschaft immer entscheidender werde.
Gentechnik werde von der Landwirtschaft nicht angewendet, wenn
sie von den Verbrauchern abgelehnt würde. Mit der
Kennzeichungspflicht gentechnisch veränderter Lebensmittel seit
dem 18. April stehe die Wahlfreiheit der Verbraucher auf dem
Prüfstand. Die derzeit gentechnisch veränderten Produkte würden
für die Verbraucher nur geringen Nutzen bringen. Auch für die
europäischen Bauern sei der Nutzen derzeit nicht gravierend.
Anders als für den Agrarsektor Nord- und Südamerikas, der auf
einem erheblich niedrigen Ertragsniveau wirtschafte, sei der
Produktivitätsfortschritt für die heimischen Bauern geringer.
Der DBV-Generalssekretär plädierte deshalb dafür, das derzeitige
Entwicklungsstadium der Grünen Gentechnik zu nutzen und diese
neue Technologie vorurteilsfrei zu überprüfen, die Chancen und
Risiken wissenschaftlich zu erkunden und ohne Hektik
Anbauempfehlungen mit einem transparenten Erprobungsanbau zu
erarbeiten. Erst danach könnte die Kernfrage für den Umgang mit
der Gentechnologie innerhalb der Landwirtschaft, also die
Koexistenzfrage, gelöst werden. |